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In dirt we trust!

Seezeichen

aus den Wäldern kommend

plötzlich zwischen Bahnhöfen,

auf stummen Straßen herumlaufen

Schwankend machte Sie sich daran

zu verstehen wohin es ging.

Die Kaschemmen am Hafen boten sich an

dort den Stimmen der Gäste zu lauschen

die wohl die Zukunft kannten

es galt

einzelne Zeichen zu deuten

die hin gekritzelt waren an Wänden und hölzernen Türen

es galt zu lernen

wie man in abgenagten Knochen

Hinweise las

Hinweise darauf wer man war,

und nicht wer man gern gewesen wäre

Männer die

zwischen zwei Atemzügen

zwischen den Schlücken aus ihren braunen Flaschen

einzelne Wortreste ausspuckten

wie betrunken vom eigenen schlechtem Geschmack

vor sich hin starrten

auf eine Art von Erlösung warteten

Afrikaner auch

Die Chicken, immer nur „Chicken“ bestellten

und gejagt aussahen,

selbst die Stärksten unter Ihnen

wie auf dem Sprung

taumelnd, wie nach langem Fußmarsch

nur diese kurze Rast, diese Gabel noch zum Mund

Die breiten Zuhälter dagegen

trafen sich gegen vier am Morgen

in einem pinken Café

Das Papier des Geldes das sie austauschten

während sie etwas murmelten

schien bläulich zu schimmern

doch wie der Fluss änderte es in ihren Händen

seine Farbe zu einem fahlen Grau

Sie sagte sich, sie glaubte zu verstehen

Es war eben eine Hafenstadt

Sie meinte sich gerade auszukennen

Doch da schon im nächsten Moment

eine Traumwelt und dennoch eine Welt die sie kannte

in dieser Welt hatte sie eine Arbeiterwohnung

am Rande von Milano

Dort lebte sie schon immer

Sie hatte Kinder und einen Mann

Dort fiel es ihr leicht

die staubigen Straßen zu lieben

Hier gab es wenig Geld

zu wenig Geld

um es wichtig zu nehmen

Und Sie kannte sich gut aus

in diesem ungelebten Leben

Ein Streit der Gäste

holte Sie aus dem Tagtraum

der Spielautomat spielte eine Melodie

die sie aus Kindertagen kannte

doch die erste Strophe fiel ihr nicht ein

nicht an diesem

und auch nicht an den folgenden Tagen

bald gewöhnte sie sich an die endlosen Winde

die vom Meer her die Stadt zerzausten.

aus dem Gedichtzyklus: "über die Hingabe" 1998-2004

➤ Seit 1987, zahlreiche Lesungen und Veröffentlichungen in Anthologien, u.A. Rowohlt Verlag, Dölling und Galitz Verlag, mairisch Verlag, Autorenhaus Verlag Plinke.